Freiherr Rudolf von Hirsch

Rudolf von Hirsch (Bild Theresienstadt Lexikon ghetto-theresienstadt.de)

Geboren am 7. November 1875 in München.
Rudolf von Hirsch entstammt dem Planegger Zweig der Familie von Hirsch. Sein Urgroßvater war der Hofbankier Jakob von Hirsch (geboren am 22. September 1765 in Gaukönigshofen bei Ochsenfurt, gestorben am 24. Dezember 1840 in Planegg), der als erster bayerischer Jude 1817 von König Maximilian I. in den erblichen Adelstand erhoben wurde. 1824 erwarb Jakob von Hirsch vom Grafen Thürheim die Landgüter Planegg, Krailling und Fronloh, 1835 errichtete er in Planegg zwischen dem Schloss und dem Ort ein großes Brauhaus und erhielt 1836 von der Regierung die Konzession, Bier zu brauen.
Rudolf von Hirsch schloss das Studium der Naturwissenschaften in München und Berlin mit einer Promotion und wurde der Assistent des berühmten Physikers Wilhelm von Röntgen. Ab 1916 nahm er am Ersten Weltkrieg teil und schied als Leutnant der Landwehr 1919 aus der Armee aus. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse sowie dem Militärverdienstorden von Bayern mit Schwertern ausgezeichnet.
Nach dem Tod seines Vaters Emil von Hirsch (1837 – 1917) wurde Rudolf von Hirsch 1918 Schlossherr und Gutsbesitzer von Planegg. Er hatte am 9. Oktober 1900 in Ortenberg Elisabeth McDonald (geboren 27. September 1870 in Chicago, USA, gestorben am 22. Oktober 1910 in Davos, Schweiz) geheiratet, mit der er die Söhne Donald Karl James (geboren am 22. September 1901 in München), Theodor Emil Herbert (geboren am 14. August 1903 in München) und Rudolf Ferdinand Josef (geboren am 18. November 1905 in München) hatte. In zweiter Ehe hatte Rudolf von Hirsch am 29. September 1919 in Planegg Freifrau Elisabeth von Kobell geheiratet.
Obwohl bereits die Eltern katholisch waren, galt Rudolf von Hirsch sowie seine Geschwister Dr. Karl Freiherr von Hirsch und Ida Freifrau von Hirsch, verheiratete von Feury, nach den Nazi-Gesetzen als Juden, seine Kinder als „jüdische Mischlinge“. Während der Pogromnacht vom 9. auf 10. November 1938 verübten SS-Männer in Zivil unter der Leitung von Christian Weber, Kreistagspräsidenten von Oberbayern und Vorsitzender der der NSDAP-Fraktion im Münchner Stadtrat, einen Brandanschlag auf das Schloss Planegg. Hintergrund war die Weigerung Hirschs, Jagdrechte auf seinem Gut an Weber abzutreten.
Die Gemeindechronik (Ditsch Fritz; Die Familie von Hirsch, in Planegg, Geschichte und Geschichten, Band II-1, Gemeinde Planegg 2009) zitiert die Schilderung der Ereignisse durch Herbert Funk: „4.30 Uhr die Feuersirene am Rathaus heult auf, das heißt brennen tuts. Mein Vater Mitglied der Feuerwehr eilt zum Feuerhaus und rückt mit dem offenen Löschfahrzeug zur Brandstelle aus. Es brennt im Schloß. … Am Schloßtor wurde die Feuerwehr von SS Soldaten mit vorgehaltener Pistole empfangen - Löschen verboten - Landesverrat - sofort umkehren. Durch die Sirene sind Guts- und Forstarbeiter aufgeschreckt worden und wollten zum helfen und löschen kommen. Der SS wurde die Menschenmenge zuviel und rückte schnellstens ab. Man hatte die Telefonleitung durchgeschnitten, aber nicht gewußt daß von der Küche eine zweite Leitung, auf welche alarmiert wurde, existierte. Der Brand, welcher im Büro gelegt wurde, konnte vom Schloßpersonal gelöscht werden. Mein Vater kam überaus aufgeregt von diesem Einsatz zurück. Mir blieb dieses Erlebnis in schauriger Erinnerung. Diese Nacht kann keiner vergessen, der sie miterlebt hat.“
Die Gemeindechronik führt außerdem den verharmlosenden Monatsbericht des Regierungspräsidenten von Oberbayern vom 10. Dezember 1938 an: „Zu einer größeren Aktion kam es gegen den Juden Frhr. von Hirsch in Planegg, wo Demonstranten auch einen Brand im Schloß verursachten, wobei mehrere Zimmer ausbrannten. Der Brand konnte jedoch alsbald wieder gelöscht werden. Von den Angestellten des Juden wurde einer durch einen Pistolenschuß leicht verletzt. Der Umstand, daß die Feuersirene läutete, die Feuerwehr ausrückte - ohne jedoch eingreifen zu können - und Schüsse fielen, hat die Bevölkerung beunruhigt, Wesentlicher Sachschaden ist nicht entstand.
Laut der Gemeindechronik wurde „Dr. Karl von Hirsch, der Bruder Rudolfs, der als Brauereibesitzer und Privatier in Planegg lebte, zudem auch Hauptmann der Reserve des 7. Feld. Art.-Regiments war, von Angreifern in den Schlossteich geworfen. Er erlitt einen Schädelbruch und wurde erst nach einigen Abweisungen durch verschiedene Kliniken ärztlich versorgt. Dr. Rudolf Freiherr von Hirsch und seine zwei Söhne Theodor und Ferdinand wurden noch in dieser Nacht in Schutzhaft genommen, im Münchner Polizeipräsidium verhört und acht Tage im KZ Dachau festgesetzt. 1938 wurden das Schloss und das gesamte Gut zugunsten der Stadt München, der damaligen Hauptstadt der Nationalsozialistischen Bewegung, enteignet, die gutseigenen Jagdrechte pachtete Christian Weber.

Rudolf von Hirsch: Theresienstadt-Karteikarte

Rudolf von Hirsch: Theresienstadt-Karteikarte (Quelle Theresienstadt Lexikon ghetto-theresienstadt.de)
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Ida von Feury auf Hilling: Transport-Karteikarte (Quelle Arolsen Archives)

Am 3. Juni 1942 wurden Rudolf von Hirsch, der sieben Monate davor in der Gestapo-Haft verbracht hatte, sein älterer Bruder Dr. Karl Moritz Freiherr von Hirsch und seine Schwester Ida Freifrau von Hirsch (geboren 23. November 1877 München, gestorben am 23. November 1957 auf Gut Thailing bei Steinhöring), verheiratet mit Friedrich Freiherr von Feury auf Hilling, als „Prominente“ mit dem ersten Transport von München in das Ghetto Theresienstadt deportiert (Ankunft am 4. Juni 1942). Von den insgesamt 50 Personen dieser Deportation überlebten zehn die Schoa. Karl Moritz von Hirsch starb am 3. Juni 1944 in Theresienstadt aufgrund der unerträglichen Lebensbedingungen. Rudolf von Hirsch und Ida von Feury wurden in Theresienstadt am 8. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Rudolf von Hirsch kehrte am 6. Juni 1945 nach Planegg zurück. Aus Dankbarkeit für seine glückliche Heimkehr stellte Rudolf von Hirsch Bauland für die sogenannte Naumann-Siedlung zur Verfügung. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er 1953 Ehrenbürger von Gräfelfing und Planegg und erhielt das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Er starb 25. Mai 1975 im Alter von 99 Jahren in Planegg.

Zu den Söhnen von Dr. Rudolf Freiherr von Hirsch und Elisabeth, geborene MacDonald, liegen folgende Informationen vor:
Donald Karl James Freiherr von Hirsch (geboren am 22. September 1901 in München) nahm 1921 an den Kämpfen des Freikorps Oberland in Oberschlesien teil. Am 5. Februar 1931 hat er in Frankfurt am Main Katharina Bachert (geboren am 25. April 1902) geheiratet. Am 5. Juni 1936 kam er von Frankfurt am Main nach Meran/Italien und ging am 17. September 1938 nach London, wo er später der erste Direktor des Goethe-Instituts wurde.
Theodor Emil Herbert Freiherr von Hirsch (geboren am 14. August 1903 in München) hat Chemie studiert und am 16. Februar 1919 an der Universität München promoviert. Am 18. August 1937 hat er in London Hertha Amalie Irene Anna Sofie Freiin von Perfall (geboren am 6. September 1911 in Greifenberg) geheiratet, weshalb gegen ihn nach dem "Blutschutzgesetz" ermittelt wurde, weil er zwei jüdische Großeltern hatte, während die Braut "arisch" war. In der "Reichspogromnacht" vom 9. auf 10. September 1938 wurde er zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Rudolf Ferdinand Josef verhaftet und acht Tage im KZ Dachau interniert. Am 17. April 1939 wurde er wegen "politischen Verhaltens" von der Gestapo erkennungsdienstlich behandelt. Von 1939 bis 1940 diente er bei der Wehrmacht, ab 1944 musste er wie sein Bruder Rudolf Ferdinand Josef Zwangsarbeit in einem Salzbergwerk bei Magdeburg leisten.
Rudolf Ferdinand Josef Freiherr von Hirsch (geboren am 18. November 1905 in München) hat laut der Gemeindechronik am Frankreichfeldzug teilgenommen und wurde 1941 er aus der Wehrmacht ausgeschlossen. 1944 deportierten ihn die Nationalsozialisten zusammen mit seinem Bruder Theodor Emil Herbert Freiherr von Hirsch zur Zwangsarbeit in ein Salzbergwerk bei Magdeburg. Ferdinand von Hirsch starb am 17. März 2001 in seinem Schloss Planegg.

Quellen:
Stadtarchiv München
Gemeindearchiv Planegg
Kreiler, Dr. Bernd; Rudolf und Karl Moritz von Hirsch im Ghetto Theresienstadt, in der Gemeindechronik Planegg 2009
Ditsch Fritz; Die Familie von Hirsch, in Planegg, Geschichte und Geschichten, Band II-1, Gemeinde Planegg 2009
Jüdisches Museum Hohenems

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