Berichte von betroffenen Zeitzeugen

Die Zahl der Berichte von Zeitzeugen unterschiedlicher Funktion ist relativ groß, aber ihre Quantität und Qualität ist je nach Sachlage bzw. Funktion des Zeitzeugen sehr unterschiedlich.

1. Überblick über Gesamtlage

Über die Gesamtlage in allen oder auch in einzelnen Lagern sowie über die Gesamtsituation einzelner Märsche oder Transporte konnten meist nur leitende Angehörige der SS-Wachmannschaften oder einige wenige Funktionshäftlinge, die in Schreibstuben beschäftigt waren, wirklichkeitsgetreue Auskünfte geben. Besonders aussagekräftig waren diesbezüglich Aussagen von SS-Angehörigen m Dachau-Prozess. Bei den dort gemachten Aussagen von ehemaligen Häftlingen fehlte notgedrungen oft der nötige Gesamtüberblick. Diese Aussagen von SS-Führern spielen vor allem für die letzten Apriltage eine wichtige Rolle, als die penible Protokollarbeit der SS-Führung nicht mehr gut funktionierte. Immerhin legte der Lagerführer des KZ- Dachau am Morgen des 29. April 1945, dem Tag der Befreiung durch US-Truppen, noch einen ausführlichen "Stand" vor, der die letzten Zugänge und Abgänge des KZ Dachau auflistete.

2. Marschberichte von Häftlingen

Aussagen und Berichte von SS-Angehörigen über den Ablauf von Evakuierungsmärschen sind weniger zuverlässig. Viele äußerten sich im Dachau-Prozess ziemlich wortkarg, verdrängten oder verharmlosten Tatbestände, die sie belasten konnten. Umso informativer, wichtiger und wertvoller sind auf diesem Gebiet Berichte von Häftlingen. Besonders ausführlich und genau über Wege, Orte und Zeiten berichteten deutschsprachige Häftlinge ("Reichsdeutsche") des "Todesmarsches von Dachau". Möglicherweise wurden sie im KZ Dachau nicht so brutal ausgebeutet und schlecht ernährt wie jüdische Häftlinge in den Kauferinger oder Mühldorfer Lagern. Aufgrund ihrer Herkunft und Sprachfertigkeit, möglicherweise auch durch langjährige Schulung im Lagerwiderstand verfügten sie über eine nennenswerte Aufnahme- und Merkfähigkeit in ihrer Zwangslage. Schon kurz nach der Befreiung schilderten sie ihre Erfahrungen und Beobachtungen in teilweise sehr umfangreichen Berichten. Ihren weitgehend übereinstimmenden Berichten verdanken wir ein ziemlich wirklichkeitsnah erscheinendes Bild vom "Todesmarsch von Dachau".

Wir listen einige Berichte von Häftlingen auf, die den "Todesmarsch von Dachau" überlebten und unserer Meinung nach besonders informativ über ihren letzten Leidensweg von Dachau oder Allach bis Waakirchen berichteten.

  • Leopold Malina, Wien, "Notizen der letzten Tage … ", KZGSD, A-Nr. 20630
  • Heinrich Pakullis, Köln, "Verschleppungs-Todesmarsch nach Tirol", KZGSD A-Nr. 233
  • Erich Röhl, ohne Ortsangabe, "Der Marsch des Schweigens und der Vernichtung", KZGSD A-Nr. 25824
  • Rupert Schmidt, Wattens, "Der Gewaltmarsch", KZGSD A-Nr. 5685
  • Franz Scherz, Ternitz-Pottschach, "Sieben Tage, Ein Bericht über den Todesmarsch der Dachauer Häftlinge vom 26. April - 2. Mai 1945", KZGSD A-Nr. 26448.

Wenn großes Bedürfnis geäußert wird, stellen wir diese Zeitzeugen-Berichte in diese Internet-Seite.

Unsere Wertschätzung für die informative Qualität dieser Berichte von deutschen und österreichischen Dachau-Häftlingen ist auch bedingt durch das weitgehende Fehlen von konkreten Erinnerungen über die Evakuierungsmärsche von Kaufering, Türkheim und Utting nach Dachau und weiter nach Waakirchen, die von jüdischen Häftlingen aus Litauen oder Ungarn in Buchform veröffentlicht wurden. Nur Orte wie Fürstenfeldbruck, Wolfratshausen oder Königsdorf tauchen schemenhaft aus den traumatischen Erinnerungen an den Todesmarsch auf. Noch seltener sind Berichte über die Bahntransporte von Kaufering nach Emmering und von Emmering und Mühldorf nach Mittenwald, Wolfratshausen, Tutzing, Seeshaupt und Iffeldorf.

Einige wenige Häftlinge aus Deutschland, Litauen, der Tschecho-Slowakei und Ungarn haben sehr spät nach ihrer Befreiung den geistigen Weg zurück in ihre grausamen Erinnerungen gewagt. Ihre literarischen Werke schließen zwar nur wenige historische Lücken, schildern jedoch umso eindrucksvoller und bewegender ihr schreckliches Schicksal, das ihnen in ihrer Kindheit und Jugendzeit fast die gesamte Familie wegraffte und ihnen selbst fast das Leben kostete.

  • Solly Ganor, Das andere Leben, Kindheit im Holocaust, Frankfurt 1997,
  • Jehuda Garai, Pécs - Auschwitz - Kaufering, Stationen einer verlorenen jüdischen Jugend, Berlin 2006,
  • Zwi Katz, Von den Ufern der Memel ins Ungewisse, Eine Jugend im Schatten des Holocaust, Zürich 2002,
  • Max Mannheimer, Spätes Tagebuch. Theresienstadt - Auschwitz - Warschau - Dachau, München 2001,
  • Hermann Scheipers, Gratwanderungen, Priester unter zwei Diktaturen, Leipzig 1997.