Bahntransport aus Mühldorf

Das Bunkerprojekt im Raum Mühldorf ("Weingut I") war mit dem Landsberger Projekt "Ringeltaube" fast identisch. Aufgrund günstiger geologischer Gegebenheiten hatte es größere Dimensionen und konnte schneller verwirklicht werden. Während im Raum Kaufering-Landsberg der fünfgeschossige Bunker "Weingut II" von 400 Meter auf 240 Meter Länge und von 5 Meter auf 3 Meter Dicke reduziert und nur zu 70 Prozent gebaut wurde ("Diana II" nur die Fundamente, "Walnuss II" nur der Aushub), wurde der achtgeschossige Mühldorfer Bunker "Weingut I" in 360 Meter Länge, und 32 Meter Höhe geplant und auch fertig gebaut.

Im KZ-Komplex Mühldorf war auch die Buchhaltung der "Vernichtung durch Arbeit" effizienter. Insgesamt wurden 8300 vorwiegend jüdische KZ-Häftlinge aus osteuropäischen Arbeitslagern nach Mühldorf transportiert. Sie vegetierten in den Erdhütten der zwei Hauptlager "Mettenheim" und "Waldlager" sowie in den kleineren Nebenlagern Mittergars und Thalham. Die "Totenbücher" verzeichnen 3934 Tote. Keine schriftlichen Spuren hinterließen die 835 kranken Häftlinge, die in zwei Transporten zur Vergasung nach Auschwitz transportiert wurden. Vor der Räumung wurden noch 5284 Häftlinge gezählt. Nur 3556 Häftlinge überlebten ihre "Evakuierung" auf dem Bahnweg.

Am 25. April 1945 verließ ein Güterzug mit etwa 3600 Häftlingen den Bahnhof von Mühldorf. Durch Tieffliegerangriffe stockte die Fahrt an mehreren Orten. Am 27. April wurde der Zug in Poing, östlich von München, wieder von Tieffliegern angegriffen. Es entstand doppelte Verwirrung. Weil die SS-Wachen während des Angriffs von der Rundfunkmeldung der "Freiheitsaktion Bayern", die Krieg sei zu Ende, erfuhren, ließen sie die Häftlinge zunächst laufen, nach der raschen Beendigung dieses Befreiungsversuchs trieben sie sie mit Gewehrschüssen wieder in den Zug zurück. In München wurde der Zug in zwei Transporte geteilt und beide - wie die Marschierenden - in Richtung Süden dirigiert. Der erste Teilzug fuhr über Wolfratshausen und Bichl nach Seeshaupt am Starnberger See, wo der Zug wieder von Tieffliegern angegriffen wurde. Wegen des raschen Vormarsches der amerikanischen Truppen endete dieser Zug am 29. April in Tutzing am Westufer des Starnberger Sees.

Der zweite Teilzug fuhr am 29. April über Wolfratshausen in Richtung Kochel am Rande der Alpen. Auf dem Bahnhof Beuerberg, wo die Häftlinge verpflegt werden sollten, wurde er mit einem zweiten Häftlingszug aus Dachau, der dort von Tieffliegern angegriffen worden war, zusammengekoppelt und über Bichl nach Kochel dirigiert, in dem finalen Chaos jedoch am 30. April nach Seeshaupt zurückkommandiert. Tutzing erreichte der Zug nicht mehr. In Seeshaupt wurden die überlebenden Häftlinge aus Mühldorf und Dachau noch am selben Tag befreit.

Diese Irrfahrten von Mühldorf zum Starnberger See hat Max Mannheimer, heute Vizepräsident der Internationalen Lagergemeinschaft von Dachau, im ersten Teilzug überlebt. Sein Leidensweg gleicht der Odyssee vieler Häftlinge, die nach Kaufering oder Mühldorf verschleppt wurden: von seiner tschechischen Heimatstadt Neutitschein im Januar 1939 erst nach Ungarisch-Brod ausgewiesen, im Januar 1943 ins KZ Theresienstadt und von dort weiter ins KZ Auschwitz I, im Oktober 1943 nach Warschau zu Aufräumarbeiten des zerstörten Ghettos, im August 1944 nach einem Todesmarsch und einem Todeszug ins KZ Dachau, erst ins Außenlager Allach und dann ins KZ Mettenheim bei Mühldorf.