Informationslücken zum Todesmarsch von Dachau

1. Rückblick auf Orte, Zahlen und Zeiten der Hauptquellen

Um den Lesern dieser Quellenanalyse über eine komplexe Wirklichkeit einen verständlichen Überblick über "Routen und Opfer" der "Evakuierung des KZ Dachau und der Kommandos Kaufering, Türkheim und Mühldorf" zu vermitteln, präsentieren wir noch einmal kurz und übersichtlich die wichtigsten Angaben über Zahlen, Zeiten und Orte in der Hauptquelle.

a. Fußmärsche von Türkheim und Kaufering

Datum  Häftlinge   Ausgangsort    Weitere Strecke

23.4.       1200   Türkheim       nach München-Pasing. 
                                  Zusammenschluss mit "Dachauer Marsch" (siehe b).
24.4.       1500   Kaufering      nach Emmering, Bahnverladung 
                                  (Zeit und Ziel nicht angegeben).

b. Fußmarsch vom KZ Dachau in Richtung Alpen

Die Leerzeilen markieren die in der Hauptquelle nicht angegebenen vier Rastplätze von Leutstetten/Petersbrunn, Achmühle Bolzwang, Wolfsöd und Waakirchen.

Datum  Häftlinge   Ausgangsort    Weitere Strecke

26.4.       7000   Dachau         über Allach nach München-Pasing.
26.4.       1200   Türkheim       nach München-Pasing. 
                                  Zusammenschluss mit "Dachauer Marsch"
26.4.       8200   Mü-Pasing      über Planegg, Krailling, Stockdorf, Gauting, Leutstetten,
27.4.       8200   Leutstetten    nur Etappenname, kein Hinweis auf Rast oder Lager.

28.4.       8200   Percha         Teilung in nördliche und südliche Marschgruppen.
28.4.       4000   Percha         Nördliche Gruppe: Berg, Aufkirchen, Wolfratshausen.
28.4.       6000   Wolfratshausen zusätzlich 2000 Häftlinge aus Dachauer Bahntransport,
                                  weiter nach Eurasburg.
28.4.       4000   Percha         Südliche Gruppe: Berg, Münsing, Degerndorf, 
                                  Achmühle, Eurasburg.
28.4.       4000   Achmühle       kein Hinweis auf Rast oder Lager. 

29.4.      10000   Eurasburg      in Percha getrennte zwei Gruppen vereinigen sich.
                                  Nach Herrenhausen.
29.4.      10000   Herrenhausen   bis Beuerberg. 
30.4.      10000   Beuerberg      5000 Häftlinge befreit, Restgruppe in Richtung Bad Tölz. 
30.4.       4500   Königsdorf     nach Kirchbichl.

30.4.       4500   Kichbichl      nach Bad Tölz.
30.4.       4000   Bad Tölz       über Greiling, Reichersbeuern nach Waakirchen.
 1.5.       4000   Waakirchen     dort 1000 Häftlinge befreit.

 1.5.       3000   Waakirchen     über Gmund, Tegernsee nach Rottach. 
 2.5.       3000   Rottach        dort 2000 befreit.
 2.5.       1000   Rottach        nach Wildbad Kreuth, zurück über Wiessee,
                                  Gmund nach Dürnbach.
 2.5.        360   Dürnbach       dort befreit.

c. Bahntransporte aus Dachau (Emmering) und Mühldorf

Datum  Häftlinge   Ausgangsort    Weitere Strecke

23.4.       2000   Emmering       Seefeld in Tirol, Marsch nach Mittenwald. 
                                  Am 4.5. 1900 Häftlinge befreit.
25.4.       3000   Emmering       über Beuerberg und Bichl nach Seeshaupt 
                                  (Starnberger See). Am 30.4. befreit.
26.4.       2600   Emmering       über Beuerberg und Bichl nach Staltach/Iffeldorf 
                                  (Starnberger See). Am  30.4. befreit.
27.4.       2000   Emmering       Wolfratshausen. Am 28.4. Weitermarsch mit "Dachauer Marsch"
28.4.       1500   Mühldorf       über Ampfing, München, Beuerberg, Bichl nach 
                                  Tutzing (Starnberger See), 30.4. befreit.

2. Fehler und Lücken in den Hauptquellen zum Todesmarsch von Dachau

a. Herkunft der 1524 Juden

Über den Abmarsch der drei "Marschsäulen" von "1213 Reichsdeutschen, 4150 Russen, 1524 Juden", die laut Protokoll des Dachauer "Schutzhaftlagerführers" den "Todesmarsch von Dachau" bildeten, gibt es in Hauptquellen und mehreren Zeitzeugenberichten unserer Meinung nach keine Fehler, Lücken oder Widersprüche. Am 26. April 1945 verließen gegen 21.00 Uhr 6887 Häftlinge das KZ Dachau, angeblich mit dem Ziel "Ötztal", zunächst aber entlang der Würm in Richtung Starnberg. Dafür hat die Schreibstube des KZ Dachau am 26.4. zwei Marschbefehle dokumentiert. Mehrere zuverlässige Zeitzeugen-Berichte liefern übereinstimmende Zeitangaben.

In unseren "Informationen" zum "Todesmarsch von Dachau" haben wir die Frage, woher die 1524 Juden dieses "Evakuierungsmarsches" (und auch die 1759 Juden, die mit der Bahn transportiert werden sollten) kamen, schon ausführlich diskutiert. Wir stellen hier nur die Frage nach der betreffenden Information in der Hauptquelle. Das NTC-Dokument nennt eine Vielzahl von Bahntransporten, die in den vorausgehenden Tagen aus anderen Konzentrationslagern eingetroffen waren und das KZ Dachau überfüllt hatten. Wir teilen diese Annahme.

Die renommierte Autorin Edith Raim, die ausführlich und fundiert das Rüstungsprojekt "Ringeltaube" in Landsberg/Kaufering analysierte, hat die Frage der Evakuierung der über 10 000 KZ-Häftlinge aus dem Kauferinger Lagerkomplex nicht mit derselben Vehemenz und Konsequenz behandelt wie Planung und Organisation des riesigen Zwangsarbeiterprojekts. In einer Befragung durch den Autor meinte sie: Nachdem in den Hauptquellen nur der "Türkheimer" Marsch von 1200 Häftlingen und der Marsch von 1500 Häftlingen "aus Kaufering" genannt werden, ist es wahrscheinlich, dass der Marsch von 1500 Kauferinger Häftlingen die Frage nach den 1524 Juden des "Todesmarsches von Dachau" beantwortet. Sie übernimmt damit nicht die wirklichkeitsnahe Annahme der Hauptquelle, dass die 1500 Kauferinger Häftlinge in Emmering auf die Bahn verladen wurden. Sie geht vor allem nicht der Frage nach, was mit den übrigen 4000 Häftlingen geschehen ist, die aus den Lagern des Kauferinger KZ-Komplexes evakuiert wurden.

Die Frage nach der Herkunft der 1524 Juden des "Todesmarsches von Dachau" führt also auch nach Landsberg/Kaufering. In diesem Kontext (Kap. III) werden wir sie im angemessenen Zusammenhang noch einmal überprüfen.

b. 1200 Türkheimer?

Die Hauptquelle gibt an, dass am 26.4.1945 in München-Pasing 1200 KZ-Häftlinge aus Türkheim zu den rund 7000 Häftlingen des Todesmarsches von Dachau gestoßen sind und sich diesem anschließen mussten. Diese Information entspricht nicht den Tatsachen. Das Dachauer Außenlager Türkheim wurde von der Dachauer Kommandantur als Lager Nr. 6 des Kauferinger KZ-Komplexes geführt. Laut der letzten Aufstellung der Organisation Todt, die die Häftlinge des Kauferinger Außenkommandos verwaltete, befanden sich in dem kleinen Türkheimer Lager 6 am 14.4.1945 nur 559 Häftlinge. Die Türkheimer Häftlinge mussten über Landsberg marschieren, in dessen unmittelbarer Nähe sich die Kauferinger Lager 1, 7 und 11 befanden. Die fehlenden über 600 "Türkheimer Häftlinge" kamen also aus einem der Kauferinger Lager bei Landsberg. Es also ein Marsch Türkheimer und Kauferinger bzw. Landsberger Häftlinge.

c. Zeitverschiebungen ab Leutstetten

Die Hauptquelle nennt folgende Zeiten für folgende Orte: Pasing 26.4., Percha 28.4. Wolfratshausen 28.4., Eurasburg 29.4.. Nach den Zeitzeugen-Berichten mehrerer Häftlinge begann der Abmarsch von Dachau am 26.4. um 21.00 Uhr. Gegen Mitternacht wurde wahrscheinlich Pasing durchquert. Am Morgen des 27.8. ("vormittags 11 Uhr") durften die Dachauer Marschkolonnen im Würmtal bei Leutstetten und Petersbrunn rasten, nur wenige Kilometer nördlich von Starnberg und Percha. Bis hierher stimmen Orte und Zeiten.

Am Abend desselben Tages ("Abmarsch um 18 Uhr 30") mussten die Häftlinge weitermarschieren, durchquerten also noch in der Nacht des 27.8. Percha und auch Berg, wo der "Todesmarsch von Dachau" in eine nördliche und eine südliche Gruppe geteilt wurde. Die Nordgruppe marschierte die ganze Nacht von Percha (bzw. Berg) nach Wolfratshausen. Die Häftlinge durchquerten Wolfratshausen nach Zeugenaussagen am Morgen des 28.4. ("8 Uhr früh") und erreichten noch am Morgen des 28.4. das Lager Achmühle ("10 Uhr vormittags"). Ebenfalls am Morgen des 28.4. erreichte die Südgruppe das benachbarte Lager Bolzwang. Hier liegen in der Hauptquelle eine Auslassung und eine Verwechslung vor. Für die südliche Marschgruppe wird Achmühle erwähnt, obwohl diese bei Bolzwang lagerte. Für die nördliche Gruppe, die tatsächlich in Achmühle rastete, wird kein Lagerplatz erwähnt.

d. Das Doppellager von Achmühle und Bolzwang fehlt im Zeitplan.

Der Zeitplan und auch die Etappenorte der Hauptquelle geraten ab dem 28.4. und ab Percha durcheinander, weil diese nicht berücksichtigt, dass die 10.000 Häftlinge der beiden Gruppen, die hinter Percha geteilt und in den benachbarten Lagern von Achmühle und Bolzwang wieder vereinigt wurden, hier - zwischen Wolfratshausen und Eurasburg - zwei Tage lang lagerten: vom Morgen des 28.4. bis zum Nachmittag des 30.4. ("Abmarsch 15 Uhr"). Wegen der zweitägigen Rast in Achmühle/Bolzwang verschiebt sich hier der Zeitplan der Hauptquelle vom tatsächlichen Zeitplan um zwei Tage. Eurasburg wurde nicht am 28.4., sondern erst am 30.4. erreicht. Am 30.4. waren die Dachauer Häftlinge nach dem Zeitplan der Hauptquelle bereits in Waakirchen und feierten dort ihre Befreiung.

Die Hauptquelle führt auf, dass in Wolfratshausen noch 2000 Häftlinge aus einem Dachauer Bahntransport eintrafen und den "Todesmarsch von Dachau" verstärkten, so dass sich in Achmühle/Bolzwang dessen Gesamtzahl von 8000 auf 10 000 Häftlinge erhöhte. Aber die Hauptquelle lässt den Teil der Kauferinger Häftlinge außer Acht, die erst nach Dachau und von dort - etwa 12 Stunden hinter dem " Todesmarsch von Dachau" – ebenfalls in Richtung Süden marschieren mussten. Dies ist relevant, weil ab diesem zweiten Lagerplatz die örtlichen und zeitlichen Angaben Dachauer und Kauferinger Zeitzeugen übereinstimmen. Während der zweitägigen Rast bei Achmühle und Bolzwang verschmolzen die Dachauer und Kauferinger Marschgruppen (sehe Kapitel III).

e. Verwirrungen zwischen Eurasburg und Beuerberg

Die Hauptquelle gibt an, dass am 29.4. 10.000 Häftlinge (ohne die zusätzlichen Allacher und Kauferinger!) von Eurasburg nach Beuerberg marschierten, dass dort 5000 befreit wurden und dass 5000 Häftlinge am 30.4. wieder nach Eurasburg zurückmarschierten, dort die Loisach überquerten und dann noch – alles am selben Tag – bis Königsdorf, Kirchbichl, Bad Tölz, Greiling und Reichersbeuern – kurz vor Waakirchen – weitermarschierten. In einem Tag von Beuerberg bis Reicherbeuern marschieren: Das schafft auch kein gesunder und ausgeruhter Häftling, geschweige denn die ausgehungerten und kranken Elendsgestalten des "Todesmarsches von Dachau" in seiner letzten Phase.

Die 10 000 Häftlinge marschierten nach authentischen Primärquellen überhaupt nicht von Eurasburg aus direkt nach Beuerberg. Häftlingsberichte (Leopold Malina, Dr. Karl Rudrich, Rupert Schmidt, Franz Scherz), eine Gerichtsaussage des SS-Führers Fritz Degelow und der Bericht des Pfarrers von Beuerberg bezeugen, dass alle Häftlinge, die am frühen Nachmittag des 30.4. das Doppellager von Achmühle/Bolzwang verließen, wegen der sich nähernden Front schon beim nahegelegenen Eurasburg die Loisach überquerten – zuerst die Deutschen, dann die Juden und zuletzt die Russen (Dr. Karl Rudrich). Aber kurz nach der Brücke, bei Herrenhausen, gab die SS-Führung Befehl, die russische Häftlinge nach Beuerberg marschieren zu lassen, damit sie dort von den US-Truppen, die noch am selben Tag in Beuerberg ankamen, befreit werden konnten. Laut Abmarschplan der Schreibstube des KZ Dachau gehörten vem "Todesmarsch von Dachau" 4150 Russen an. Es könnten aber mehr gewesden sein: durch die Häftlinge aus Türkheim, Allach und vom Bahntransport nach Wolfratshausen, die in den "Todesmarsch von Dachau" eingegliedert wurden. Die übrigen 5000 Häftlinge - hauptsächlich "Reichsdeutsche" und Juden (dazu die zusätzlichen Allacher und Kauferinger)- mussten von Herrenhausen aus über Königsdorf, Bad Tölz in Richtung Waakirchen weitermarschieren.

f. Kein Lager 3 auf Landkarte und Zeitplan, dafür irrealer Umweg durch Isar.

Nach Königsdorf taucht in der Hauptquelle ein geographischer Irrtum auf. Sie gibt an, dass die verbliebenen 4500 Häftlinge des "Todesmarsches von Dachau" von Königsdorf über Kirchbichl nach Bad Tölz marschierten. Zwischen Königsdorf und Kirchbichl gab und gibt es jedoch keine Isarbrücke. Mehrere ausführliche und detailreiche Häftlingsberichte belegen, dass der "Todesmarsch von Dachau" zwischen Königsdorf und Bad Tölz über Dörfer und Weiler wie Wolfsöd, Kreuth oder Unterbuchen führte und dort durch ein drittes Nachtlager unterbrochen wurde - in einer "Teufelsschlucht", in der viele Häftlinge ihr Ende befürchteten, wie einige von ihnen zu Protokoll gaben (Heinrich Pakullis, Erich Röhl, Franz Scherz, Rupert Schmidt). Diese dritte Rast fand in der Nacht vom 30.4. auf den 1.5. statt. In der Datei "> Todesmarsch von Dachau > Nachforschungen nach dem 3. Lager" lokalisieren wir das Lager "Teufelsschlucht. Bei dem Marsch über Kirchbichl, das die Hauptquelle nennt, handelt es sich wahrscheinlich um einen von Einheimischen bezeugten Evakuierungsmarsch von Häftlingen von KZ-Lagern im Münchner Osten in Richtung Bad Tölz (siehe Kapitel IV).

g. Was geschah in Waakirchen?

Von der letzten Marschetappe haben die meisten, mittlerweile völlig ausgemergelten Dachauer und Kauferinger Häftlinge nur noch wenige Erinnerungen. Die Holzbrücke von Bad Tölz, auf der ihre Holzschuhe klapperten, die SS-Kaserne hinter Bad Tölz und dann das kleine Wäldchen "Schopfloch" zwischen den Dörfern Reichersbeuern und Waakirchen, in dem sie zu ihrer vierten Rast lagern durften. Die Hauptquelle gibt unter der Eintragung "Waakirchen" an, dass hier am 1.5. 4000 Häftlinge ankamen, dass 1000 befreit wurden und dass noch am 1.5. 3000 in Richtung Tegernseer Tal weitermarschierten.

Ab Waakirchen werden die Orts- und Zeitangaben der Hauptquelle durch Berichte von Zeitzeugen deutlich widerlegt. Zunächst ist nach Kenntnis fast aller Zeitzeugen unbestritten, dass die restlichen Häftlingskolonnen – und zwar Dachauer wie Kauferinger – am Abend des 1.5. im verschneiten "Schopfloch" ankamen und am Morgen des 2.5. feststellten, dass die SS-Wächter verschwunden waren. Sie gingen dann bis ins nahe Waakirchen und warteten auf die Ankunft der US-Truppen, die am Nachmittag eintrafen.

Der ehemalige Dachauer Häftling Erich Röhl, der in Waakirchen befreit wurde, schrieb in seinem Bericht "Der Marsch des Schweigens und der Vernichtung": "Am 2. Mai morgens … SS verschwunden … Ankunft in Waakirchen um 11 Uhr … 14 Uhr 15 Die Amerikaner treffen ein. 4.5. Rückmarsch nach Bad Tölz. Der gesamte Transport besteht noch aus 3 000 Häftlingen, davon 990 Reichsdeutsche. 100 Russen." (KZGSD AN 25824)

Der Pfarrer von Waakirchen, der die befreiten Häftlinge drei Tage lang versorgte und pflegte und folglich einen genauen Überblick haben musste, machte in seinem schriftlichen Bericht an den Kardinal drei wichtige Angaben bzw. Auslassungen: In Waakirchen wurden 2700 Häftlinge befreit. Bei Waakirchen wurden 15 tote Häftlinge gefunden. Einen Weitermarsch von Tausenden von Häftlingen (Hauptquelle: 3000) erwähnt der Pfarrer nicht. Bei der Lektüre des ausführlichen Berichts von Pfarrer Georg Hunklinger erhält man den Eindruck, dass Waakirchen die Endstation des Todesmarsches von Dachau war.

Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass es zahlreiche Dachauer und Kauferinger Häftlinge gibt, die ihre Befreiung in Waakirchen zu Protokoll gegeben haben. Vor allem die folgenden ehemaligen "reichsdeutschen" Häftlinge beschreiben das Ende des "Todesmarsches von Dachau" in Waakirchen sehr präzise: Leopold Malina, Heinrich Pakullis, Erich Röhl, Dr. Karl Rüdrich, Franz Scherz, Rupert Schmidt. Umgekehrt liegen keine Zeitzeugen-Berichte vor, die einen Weitermarsch oder eine Befreiung in den Orten des Tegernseer Tales bezeugen. Nach der Hauptquelle müsste die Quellenlage zahlenmäßig entgegengesetzt sein, denn ihr zufolge wurden in Waakirchen nur 1000, im Tegernseer Tal jedoch 3000 Häftlinge befreit.

Es könnte angenommen werden, dass eine "Vorhut" des "Todesmarsches von Dachau" von Waakirchen aus weitermarschierte und dass dort nur eine "Nachhut" befreit wurde. Dieser Behauptung widerspricht die durch Zeugenaussagen gestützte Wirklichkeit. Die "Vorhut" bildeten laut Abmarschbericht der Dachauer Schreibstube die "Reichsdeutschen"; laut Zeugenaussagen bildeten sie auch ab Achmühle die "Vorhut"- vor den Juden und Russen. Dieselben "reichsdeutschen" Häftlinge bezeugen aber auch Waakirchen als Ort der Befreiung. "Reichsdeutsche" und jüdische Häftlinge (die Kauferinger bildeten die "Nachhut") bezeugen beide ihr letztes Nachtlager in einem Wäldchen zwischen Reichersbeuern und Waakirchen und ihre Befreiung in Waakirchen am 2. Mai 1945.

h. Fehlanzeige im Tegernseer Tal

Wir hinterfragen mit Hilfe von Zeitzeugen den phantomhaften Weitermarsch ins Tegernseer Tal. Zunächst ist festzustellen, dass die Zeitangaben der Hauptquelle für einen angeblichen Weitermarsch (1.5.) nach Gmund (1.5.), Tegernsee (1.5.), Rottach (2.5.) bis Wildbad Kreuth (2.5.), dann einen Rückmarsch über Bad Wiessee (2.5.), Gmund (2,5) bis Dürnbach (2.5.) völlig unrealistisch sind. Niemand bezeugt im Tegernseer Tal Märsche von Tausenden von Häftlingen. Es liegen vor allem keinerlei Bestätigungen vor, dass in Rottach 2000 Häftlinge befreit wurden, in Gmund und Dürnbach weitere 1000.

Aus den Pfarrerberichten aus Waakirchen und aus dem Tegernseer Tal geht hervor, dass die US-Truppen am 2.5. gegen 15.00 Uhr Waakirchen erreichten und gegen 17.00 Uhr Gmund am Tegernsee. Durch einen späten Feuerzauber durch SS-Einheiten kam es zu einem zweitägigen Artillerieduell im Tegernseer Tal, das den US-Vormarsch über Tegernsee und Bad Wiessee bis Rottach und Kreuth bis zum 4.5. verzögerte. Unter diesen militärischen und zeitlichen Umständen ist in der fraglichen Zeit ein Weitermarsch von Waakirchen bis Kreuth und dann ein Rückmarsch bis Gmund völlig unmöglich.

Die Pfarrer von Gmund, Tegernsee, Bad Wiessee und Rottach-Egern berichteten in ihren Schreiben an den Kardinal ziemlich ausführlich und inhaltsreich über die Verhältnisse in den letzten Kriegstagen; aber keiner von ihnen erwähnte den Durchmarsch oder die Befreiung von Tausenden von KZ-Häftlingen. In den Berichten der Pfarrer von Gmund und Tegernsee tauchen KZ-Häftlinge überhaupt nicht auf. Der Pfarrer von Bad Wiessee erwähnt 140 KZ-Häftlinge belgischer, französischer, italienischer, niederländischer und russischer Nationalität, die schon am 28.4. angekommen waren. Auch der Pfarrer von Rottach-Egern erwähnt ein paar Hundert KZ-Häftlinge, die nicht in das Profil des "Todesmarsches von Dachau" passen.

Der Autor dieser Analyse hat als 13-jähriger Schüler das Kriegsende in Bad Wiessee am Westufer des Tegernsees erlebt. Von Häftlingsmärschen hat er weder etwas gesehen, noch gehört. Er wurde jedoch kürzlich mit einem ehemaligen KZ-Häftling bekannt gemacht, der bei Rottach-Egern befreit wurde. Er war Russe und arbeitete in dem Dachauer Außenlager Riem im Osten Münchens, aus dem Ende April 1945 1500 russische KZ-Häftlinge (über Kirchbichl!) in Richtung Alpen marschieren mussten und deren Spuren am 29.4. kurz vor Bad Tölz endeten (siehe Kapitel IV).

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