Kriegs- und Einmarschberichte der Pfarrer des Erzbistums München-Freising

1. Auftrag des Kardinals und Todesmärsche

Am 7. Juni 1945, also nur ein Monat nach dem Ende der Kriegshandlungen in Deutschland, schrieb das Ordinariat des Erzbistums München und Freising im Auftrag von Kardinal Michael Faulhaber "an alle Pfarrämter und Seelsorgestellen der Erzdiözese" und forderte sie unter dem Betreff "Kriegs- und Einmarschberichte" auf, " ... bis spätestens 1. August d.J. ihrem Dekan einen ausführlichen Bericht über die Auswirkungen des letzten Krieges in der Seelsorgestelle und namentlich über die Ereignisse gelegentlich des Einmarsches der amerikanischen Truppen einzusenden."

Die Seelsorger der insgesamt 670 Pfarreien, Exposituren und Kuratien sollten insbesondere über folgende drei Themen berichten:

  1. "alle eventuellen Schäden von Fliegerangriffen in der Seelsorgsstelle ... ."
  2. "die Vorgänge beim Einmarsch der Amerikaner in der Seelsorgestelle, ob dabei gekämpft wurde, wie die Geistlichen und Klosterleute behandelt wurden, ob die Gottesdienstordnung gestört wurde, ob und wie viele Häuser ... zu Schaden kamen, ob hierbei Soldaten oder Zivilpersonen um das Leben gekommen sind ... ."
  3. "in welchem Umfang und wie lange Plünderungen vorgekommen sind, besonders in Kirchen, Klöstern und Pfarrhäusern ... "

Die Berichte wurden im Jahre 2005 vom Archivar des Erzbistums, Dekan Dr. Peter Pfister, in einem zweibändigen Werk unter folgendem Titel herausgegeben: "DAS ENDE DES ZWEITEN WELTKRIEGS IM ERZBISTUM MÜNCHEN UND FREISING, Die Kriegs- und Einmarschberichte im Archiv des Erzbistums München und Freising".

Vorweg ist die Frage aufzuwerfen und zu klären, ob man in diesen "Pfarrerberichten" (wie wir sie hier verkürzt nennen) angesichts der Aufgabenstellung überhaupt Informationen über die Dachauer Todesmärsche und Todeszüge im April 1945 erwarten kann. Das KZ Dachau und seine Außenlager im Bereich der Erzdiözese München und Freising zählten sicher nicht zum vorgegebenen Themenbereich der Pfarrerberichte. Wahrscheinlich war das zum Kriegsende nach Freising evakuierte Ordinariat über die Todesmärsche überhaupt nicht informiert war und nannte sie deshalb auch nicht als Berichtsthema. Nur unter dem Stichwort "Plünderungen" wurden KZ-Häftlinge und Insassen der zahlreichen Zwangsarbeiter-Lager in die Betrachtung einbezogen.

Die Frage nach den Todesmärschen und Todeszügen des KZ-Komplexes Dachau, die durch über 50 Pfarreien der Erzdiözese führten, stellt sich trotzdem, weil anzunehmen ist, dass viele Pfarrer, die sehr kritisch über die Rolle der SS-Truppen bei Kriegsende berichteten, auch das unmenschliche Verhalten der SS-Wächter der Todesmärsche und das Elend der Häftlinge verurteilen. Auch wenn also unter den Berichtsthemen die Todesmärsche vom Ordinariat nicht genannt wurden, verdient es unsere Aufmerksamkeit, ob und wie einzelne Pfarrer, durch deren Orte Todesmärsche und Todeszüge führten, auch ohne besonderen Auftrag über dieses schreckliche Geschehen wenige Tage vor Kriegsende berichteten.

Die Reaktionen der einzelnen Pfarrer fielen zwar sehr unterschiedlich und oft negativ aus. Aber die starke Gesamtbeteiligung verleiht den "Pfarrerberichten" großes historisches Gewicht. Von insgesamt 670 Seelsorgestellen des Erzbistums sind 562 Berichte eingegangen. Unter den 108 Pfarreien, die nicht antworteten, ist nur eine Einzige, die an den Strecken der Todesmärsche und Todeszüge liegt.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass über wichtige Orte entlang der Todesmarsch- und Todeszugstrecken keine Berichte vorliegen, weil sie nicht der Erzdiözese München und Freising angehören. Orte wie Kaufering und Landsberg oder Starnberg, Seeshaupt, Tutzing und Weilheim fallen in den Bereich des Bistums Augsburg.

Vorweg sei als Gesamtbeurteilung aller Pfarrerberichte gesagt, dass die meisten betroffenen Seelsorger überhaupt nicht auf die Märsche und Bahntransporte eingingen, dass viele den "Durchmarsch" nur kurz erwähnten, dass jedoch einige wenige ausführliche Berichte wichtige authentische Informationen aus erster Hand über wichtige Orte und Informationslücken enthalten, mit deren Hilfe wir mehrere offene Fragen besser verstehen oder gar klären können. Genannt seinen hier:

  • der nicht geöffnete Häftlingszug aus dem KZ Buchenwald im KZ Dachau;
  • die Situation im Doppellager Achmühle/Bolzwang zwischen Wolfratshausen und Beuerberg;
  • die Abzweigung des Teilzuges nach Beuerberg und die dortige Befreiung einer Hälfte der Marschkolonnen Allacher, Dachauer und Kauferinger Häftlinge;
  • die Marschkolonnen aus den Außenlagern München-Ost in Richtung Bad Tölz;
  • die Darstellung der Wirklichkeit in Waakirchen mit einer viel größeren Zahl von befreiten Häftlingen und die Frage des Weitermarsches;
  • die Korrektur der Hauptberichte über eine angebliche Weiterführung des "Todesmarsches von Dachau" durch das Tegernseer Tal bis Wildbad Kreuth und wieder zurück.

In einer Tabelle am Ende dieser Datei geben wir einen schematischen Überblick über Reaktionen in den Pfarrerberichten auf die Todesmärsche und Todeszüge des KZ-Komplexes von Dachau. Insgesamt liegen aus 51 Orten entlang der Strecken innerhalb des Erzbistums Pfarrerberichte vor. 21 Pfarrer berichteten mehr oder weniger ausführlich über die KZ-Häftlinge, die aus ihren Orten abmarschierten oder dort ankamen, die ihre Orte durchqueren mussten oder dort lagerten oder die dort von Tieffliegern beschossen wurden. 30 Seelsorger haben die Todesmärsche oder Todeszüge nicht erwähnt.